Ich male nicht, was ich sehe. Ich male, was ich mir vorstelle.
(Toyen)
Eine surrealistische Stimme des Widerstands, des Eros und des inneren Exils
Toyen – geboren 1902 als Marie Čermínová in Prag – war eine tschechische Malerin, Illustratorin und Grafikerin, deren Werk eine kraftvolle Verbindung aus Eros, Traum, Widerstand und Geheimnis verkörpert. Schon früh legte sie sich das geschlechtsneutrale Pseudonym Toyen zu, um sich sowohl traditionellen Geschlechterrollen als auch engen künstlerischen Kategorien zu entziehen. Ihre Bildwelt ist zutiefst persönlich, rätselhaft und lässt sich nicht in einfache Deutungen pressen.
In den 1930er-Jahren gehörte Toyen zu den Mitbegründer*innen der tschechischen Surrealistengruppe, gemeinsam mit Künstlern wie Jindřich Štyrský, mit dem sie eine enge künstlerische und emotionale Verbindung teilte. Diese Gruppe entwickelte eine eigene, vom Pariser Surrealismus inspirierte, aber eigenständig weitergedachte Form des Surrealismus in Mitteleuropa.
Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten versteckte Toyen den jüdischen Dichter Jindřich Heisler in ihrer Wohnung – ein Akt des stillen Widerstands, der ihre tiefe Verbindung von Kunst und politischer Haltung zeigt. Gemeinsam flohen sie später nach Paris, wo Toyen in engem Kontakt zu führenden Mitgliedern des französischen Surrealismus stand, darunter André Breton, Benjamin Péret, Jean-Louis Bédouin und Hans Bellmer. Besonders Bellmer, mit dem sie eine langjährige Freundschaft und künstlerische Nähe verband, teilte ihre Faszination für Körperlichkeit, Erotik und psychische Grenzerfahrungen.
Toyens Zeichnungen, Radierungen und Lithographien zählen zu den eindrucksvollsten und intimsten Aspekten ihres Schaffens. In zarten, fast flüsternden Linien oder in drastischen, traumhaften Kontrasten entstehen geheimnisvolle Szenen: abwesende Körper, zerbrechliche Symbole, nächtliche Landschaften. Ihre Werke sind zugleich sinnlich und zurückhaltend, poetisch und politisch, geprägt von Stille, Widerstand und Verwandlung.
„Meine Arbeit schreit nicht. Sie flüstert.“
— Toyen
Ihre Bildsprache bleibt schwer fassbar – mal zärtlich, mal verstörend –, doch stets aufgeladen mit psychologischer Dichte und symbolischer Tiefe. In einer surrealistischen Welt, die oft von männlichen Fantasien beherrscht wurde, bietet Toyens Kunst eine radikal andere Perspektive: verletzlich, erotisch, undurchschaubar und erschütternd eigenständig.
Toyen starb 1980 in Paris – zu Lebzeiten weitgehend verkannt von der internationalen Kunstwelt. Heute wird sie als eine der kompromisslosesten und originellsten Stimmen des Surrealismus im 20. Jahrhundert gefeiert. Ihre Zeichnungen und Drucke sprechen bis heute – zwischen Traum und Fleisch, zwischen Schweigen und Aufbegehren.